Fürsorgepolitik und Sozialrassismus im Nationalsozialismus

Fürsorgepolitik und Sozialrassismus im Nationalsozialismus

Veranstalter
Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen, Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg
Veranstaltungsort
KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Studienzentrum
PLZ
21039
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
06.10.2022 - 07.10.2022
Von
Oliver Gaida, Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin

Die Tagung wird die Überwachungs-, Disziplinierungs- und Zwangsmaßnahmen der nationalsozialistischen Fürsorge für die „Volksgemeinschaft“ in den Blick nehmen, ihre Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz herausarbeiten und deren Nachwirkungen untersuchen.

Fürsorgepolitik und Sozialrassismus im Nationalsozialismus

Im Nationalsozialismus strukturierten eugenische und sozialrassistische Kriterien die Wohlfahrtspflege. Die bereits vor und in der Weimarer Republik praktizierte Unterscheidung von Empfänger:innen staatlicher Sozialleistungen in „würdige“ und „unwürdige“ Hilfsbedürftige erhielt durch den „rassenhygienischen“ Fokus der Fürsorge eine neue Dimension: Der „Volkskörper“ sollte „gereinigt“ und „Minderwertige“ beseitigt werden. Die nationalsozialistische Auffassung von „Asozialität“ und Kriminalität als vererbbare Merkmale begründete eugenische Maßnahmen gegen „Gemeinschaftsfremde“. Immer mehr als „asozial“ Stigmatisierte wurden nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zwangssterilisiert. Zudem drohten ihnen Entmündigung sowie die Zwangsunterbringung bei Arbeitszwang in Heimen, Arbeitshäusern, geschlossenen „Bewahranstalten“ und Lagern.

Fürsorge, Wohlfahrtsanstalten, Jugend-, Arbeits- und Gesundheitsämter arbeiteten bei der Entrechtung der Betroffenen eng mit Polizei und Justiz zusammen. Die Fürsorge nahm somit eine Schlüsselrolle in der Ausgrenzung und Verfolgung von als „asozial“ Stigmatisierten ein. Dabei schrieb sie vielen Betroffenen eine maßgeblich durch die Kategorie Geschlecht geprägte Devianz zu.

Nach dem „Grundlegenden Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ konnte die Polizei ab 1937 reichsweit Personen verhaften, die als vermeintliche „Berufsverbrecher“ oder durch angeblich „asoziales Verhalten“ die Allgemeinheit gefährdeten. Sie kamen in polizeiliche „Vorbeugungshaft“ und damit zeitlich unbefristet in Konzentrationslager. Fürsorgebehörden und Arbeitsämter lieferten Namen für Verhaftungsaktionen angeblich „Arbeitsscheuer“ zu. Die Fürsorgebehörden betrachteten die KZ-Haft teils als Möglichkeit, sich kostensparend missliebiger Unterstützungsempfänger:innen und als deviant angesehener Personen zu entledigen. Teils konkurrierten sie mit der Polizei um die Arbeitskraft der Eingewiesenen und Verhafteten.

Die Tagung will die Überwachungs-, Disziplinierungs- und Zwangsmaßnahmen der nationalsozialistischen Fürsorge für die „Volksgemeinschaft“ in den Blick nehmen, ihre Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz herausarbeiten und deren Nachwirkungen untersuchen.

Der Teilnahmebetrag beträgt pro Person 10,- EUR, Verpflegung kann auf Wunsch hinzugebucht werden. Die Kosten für Reise und Unterbringung werden nicht übernommen.

Anmeldung: amina.edzards@gedenkstaetten.hamburg.de

Programm

6. Oktober 2022

12:00 Uhr Anreise
mit optionalem Mittagsimbiss für angemeldete Teilnehmer:innen

13.00 Uhr Begrüßung und Einführung
Oliver von Wrochem und Ulrich Baumann

13.30-14.30 Panel I: Verfolgung als institutionelle Praxis
Moderation: Christa Schikorra

Thomas Irmer: In den Fängen der Heimerziehung – Staatliche und private Erziehungsheime in Berlin während der NS-Zeit

Laurens Schlicht: Zwischen Fürsorge und polizeilicher Exekutivgewalt: Zur Geschichte der Weiblichen Kriminalpolizei während des Nationalsozialismus

14.45-15.45 Panel II: Mit schwarzem Winkel im Konzentrationslager
Moderation: Laura Stöbener

Piotr Chruscielski: „Asozial“ als Häftlingskategorie im KZ Stutthof

Rense Havinga: Researching the persecution of people labelled ‘asocial’ in the Netherlands during the German occupation

15.45–16.15 Uhr Kaffeepause

16.15-18:15 Uhr Panel III: Verfolgte im Netz von Fürsorge und Polizei
Moderation: Lennart Onken

Mirjam Schnorr: Von der Marginalisierung zur „Ausmerze«: Prostituierte und Zuhälter im Visier nationalsozialistischer Verfolgungspolitik

Oliver Gaida: Von Fluchten, Beschwerden und Bittbriefen – Behauptungsstrategien gegenüber der Zwangsfürsorge

Daniel Haberlah: Entschädigungsakten als Quelle zur Verfolgung „Asozialer“ und „Berufsverbrecher“ am Beispiel Braunschweigs

7. Oktober 2022

9.00-10.30 Uhr Panel IV: Ideologie zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit
Moderation: Merle Stöver

Paul Bischoff: Der Beitrag der Stadtsoziologie zur Erfassung von ‚Asozialen‘ und ‚Gemeinschaftsfremden‘

Jan Neubauer: Armes Augsburg: Nationalsozialistische Sozialfotografie zwischen Fürsorge und Verfolgung

10.30-11.00 Uhr Kaffeepause

11.00-13.00 Uhr Panel V: (Dis-)Kontinuitäten der Stigmatisierung und Ausgrenzung
Moderation: Alyn Beßmann

Nikolas Lelle: „Deutsche Arbeit” und Nationalsozialismus: Zu Konstruktionen von Fremd- und Selbstbildern über Arbeit, die mit Praktiken der Verfolgung und Vernichtung korrespondieren

Christiane Rothmaler: Rechtlose Zeiten? Der Kampf um das Festhalterecht, Arbeitserziehung und Bewahrung gegen die Widerspenstigen und Unerwünschten unter Hamburgs Bewohner:innen 1945-1949

Sarah Könecke: Kontinuitäten eines Stigmas? Transgenerationale Auswirkungen der nationalsozialistischen Verfolgung als „asozial“ und „kriminell“ verfolgter Frauen

13.00-14.00 Uhr Tagungsresümee im Plenumsgespräch
mit Ausblick auf das Ausstellungsprojekt „Als ‚Asoziale‘ und ‚Berufsverbrecher‘ verfolgte Menschen im NS“ durch die Projektgruppe
Moderation: Karola Fings

14.00–15.00 Uhr Mittagsimbiss auf Wunsch und Abreise

Kontakt

KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Studienzentrum
Amina Edzards
Tel.: +49 40 428131 – 522
E-Mail: amina.edzards@gedenkstaetten.hamburg.de

https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/fileadmin/user_upload/aktuelles/2022/Programm_Tagung_Fuersorgepolitik_2022_10_06-07_Endfassung.pdf